Samstag, 31. Dezember 2011

Neueste Nachrichten aus Anhalt

Die "weißen Weihnachten", auf welche vor Allem die Kinder hofften, sind zu Wasser geworden, zu gewöhnlichem Wasser. Alle Flüsse hat es angeschwellt und Lachse sind in diesen Tagen sogar bei Weißenfels gefangen worden. Die Saale ist nämlich eigentlich schon seit Jahren bei den Seefischen furchtbar in Mißcredit gekommen. Während es früher bei Ihnen als so eine Art Badereise galt, dem Strome entgegen in das süße Wasser hinauf zu schwimmen, sich aus Kiemen, Schuppen und Fleisch das ewige Seesalz auszuwässern und an leicht lauschigen Stellen ein verschwiegenes Wochenbett zu halten, betrachtet man unter den Fischen die Saale jetzt, wo ihr aus unzähligen Fabriken alle undenkbaren Gifte und ätzenden Substanzen zufließen, mehr als eine Verbrechercolonie, in die man nur Fische verbannt, die sich durch ganz schwere Vergehen im Meere unmöglich gemacht haben. Nur ausnahmsweise, wenn schwere Regengüsse die Fluthen schwellten und die Gifte und Säuren verdünnten und wegschwemmten, zieht noch ein anständiger Fisch seinen Wander- oder Forschungstriebe folgend, die Saale hinauf, aber - selten kehrt er wieder in die heimathlichen Gewässer, in das unendliche Meer, zurück. - Was helfen uns alle Fischbrutanstalten, schreibt ein Correspondent der "H.Z." sehr richtig, was hilft uns das Aussetzen von Millionen von Edelfischen aller Art, wenn wir ihnen nicht die erste und nothwendigste Bedingung für ihr Leben und Gedeihen, das reine Wasser erhalten. Man wir mir erwidern, die Verunreinigung der Flüsse und Bäche ist eine nothwendige Folge unserer Industrie und der Werth derselben ist unzweifelhaft größer als der eines eventuellen Fischreichthums unserer Gewässer, aber die Antwort trifft nicht. In den allermeisten Fällen kann die Schädlichkeit der abgegebenen Substanzen durch Filtration oder Zersetzung und Abscheidung gehoben, Säuren durch Alkalien, Alkalien durch Säuren neutralisiert und dann um Theil sogar verwerthet werden, aber es geschieht nicht, weil es Umstände macht, weil es selten lohnend ist, weil die Industrie nur ihre eigenen engeren Zwecke vor Augen hat, weil Gesetzgebung und Aussicht in diesem Puncte noch außerordentlich zu wünschen übrig lassen. Alles, was man nicht brauchen kann, läßt man ruhig in die Saale laufen, einerlei, ob es Schwefelsäure, Lauge oder irgendein Mineralgift ist.  - Das Auslegen von Fischbrutanstalten ist zunächst noch eine moderne Liebhaberei, sie entbehren vielfach des Bodens, auf dem sie gedeihen können. Erst schafft den Fischen Wasser, in dem sie leben können und dann schafft die Fische. Was aber hier von der Saale gesagt wird, gilt zum Theil auch von der Mulde.
Dessau, 31.December 1880

Quelle: "Anhaltischer Staats-Anzeiger, Ausgabe vom Montag den 3. Januar 1881"


Der Jahreswechsel beschert meist ein paar ruhigere Tage zum In-alten-Dingen-kramen und Innehalten. Und so ein paar alte Dinge haben sich in den letzten Jahren bei mir eingefunden. Dazu gehört auch dieser Jahresband vom Staatsanzeiger, den ich demnächst zum Buchbinder bringen möchte, da er leider fast auseinander fällt. Ich mußte schon schmunzeln, als ich den Artikel oben las - 130 Jahre alt und an Aktualität nichts eingebüßt.

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